Wanderfalken-Auswilderungsprojekt in Deutschland
Als in den 1950er bis 70er-Jahren die Bestände des Wanderfalken in Deutschland und gleichzeitig auf der ganzen Nordhalbkugel zusammenbrachen, schien das Schicksal dieses Greifvogels besiegelt. Diese bedrohliche Situation, die Befürchtungen real erscheinen ließen, dass die Art vollkommen aussterben würde, führte im Natur- und Artenschutz zu sehr unterschiedlichen Schutzstrategien. Nachdem der Wanderfalke (Konrad Lorenz: Vogel der Vögel; Horst Stern: Steckenpferd des Naturschutzes) als Symbolfigur für die Gefährdung unserer Umwelt einen hohen Stellenwert erlangt hatte, gründete sich im Deutschen Bund für Vogelschutz (DBV) die Arbeitsgemeinschaft Wanderfalkenschutz (AGW); diese Organisation versuchte die Erhaltung des Falken durch Schutz der letzten Brutpaare zu erreichen. Durch Bewachung der Wanderfalkenhorste und andere Management-Methoden hoffte man, ein endgültiges Verschwinden der Art aufhalten zu können. Es bestand die Auffassung, dass der Rückgang der Bestände in erster Linie durch illegale Aushorstungen der Falkner verursacht worden sei. Die wahren Ursachen blieben zunächst verborgen. Erst als die verheerende Wirkung bestimmter Insektizide (wie z. B. DDT) auf die Fortpflanzung verschiedener Vogelarten – so auch des Wanderfalken – aufgedeckt wurde und zum Verbot der Anwendung dieser Umweltgifte in Land- und Forstwirtschaft führte, konnten die Schutzmaßnahmen der AGW erfolgreich sein.
Einen vollkommen anderen Weg haben Falkner beschritten. Der Wanderfalke war neben dem Habicht der wichtigste Beizvogel, und die Beizjagd mit dem Wanderfalken schien sich dem Aus zu nähern. So wurde der Gedanke geboren, diese Art in Menschenhand zu vermehren. Nicht nur der Erzeugung von Beizfalken sollte dieses Vorgehen dienen. Schon frühzeitig wurde darüber nachgedacht, ob es nicht möglich wäre, bei erfolgreicher Zucht die Art durch Auswilderung wieder in der Natur zu etablieren.
Im Jahre 1974 wurden in Berlin sechs junge Wanderfalken in Gefangenschaft gezüchtet. Nachdem Renz Waller 1942 zum ersten Mal Wanderfalken unter Haltungsbedingungen gezüchtet hatte, war dies nun der große Durchbruch in der regelmäßigen Zucht von Wanderfalken in Deutschland. 1977 waren es schon 22 Jungfalken, die in unseren Volieren erzeugt wurden.
Diese Anzahl reichte aus, um die ersten experimentellen Auswilderungen durchzuführen. Diese verliefen erfolgreich. Das Wanderfalkenzuchtprojekt wurde zum Forschungsprojekt an der Freien Universität Berlin (FU). Im folgenden Jahr wurde auf Initiative der Staatlichen Vogelschutzwarte Frankfurt und der Hessischen Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz (HGON) in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Falkenorden (DFO) und der Freien Universität Berlin (FU) das erste Wanderfalken-Auswilderungs-Projekt in Nordhessen ins Leben gerufen.
Das Projekt entwickelte sich so erfolgreich, dass es nach 15 Jahren – wie vorgesehen – abgeschlossen werden konnte. Inzwischen waren auch andere Auswilderungs-Projekte ins Leben gerufen wurden. Berlin, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Franken waren Zentren dieser Aktivitäten. Über die Maßnahmen, die Erfolge, aber auch die Fehlschläge dieser Programme ist regelmäßig in Publikationen (insbesondere im Jahrbuch des DFO) berichtet worden. Die Auswilderungen haben zur Wiederbesiedlung weiter Gebiete durch Wanderfalken geführt (NRW, Wattenmeer, Harz, Franken, Berlin). Auch siedelten sich ausgewilderte Wanderfalken in der damaligen DDR an. Derzeit stammen mindestens 100 Brutpaare von den einstmals ausgewilderten Vögeln ab. Insgesamt haben Falkner des DFO bis zum Abschluss im Jahr 2010 über die verschiedenen Projekte 1.289 Falken ausgewildert. Davon stammen 1.099 Falken aus der Zucht, der Rest aus Umsetzungen aus gefährdeten Gebäudebruten.
Im Jahr 1987 musste das Wanderfalken-Forschungs- und Zuchtprojekt nach Hamburg verlegt werden. Seit dieser Zeit wird es vom Brehm-Fonds unterstützt.